„So lebt Mainz“ – So leben wir!

Aus der Artikelserie „So lebt Mainz“ in Allgemeine Zeitung, 05.07.23

Kontemplation als Dienst am Menschen

Fünf Mönche leben derzeit im Dominikanerkloster in der Mainzer Neustadt. Ihr Alltag ist geprägt und strukturiert durch Studium, Gebet und Seelsorge.

MAINZ. Bücherregale säumen die Wände von Frano Prcelas (57) Zimmer im Dominikanerkloster. „Das Böse“ prangt auf einem der Buchrücken, nur eine Armlänge vom Bett entfernt. Zwischen Fußende und Schreibtisch bleibt ein schmaler Durchgang. Die Stimmen Dutzender Philosophen und Theologen sprechen aus den Büchern, die die Regale fast bis zur Decke ausfüllen. Prcelas Zimmer ist zwar recht klein und voll, aber es ist lichtdurchflutet, ordentlich und modern. Nur der Aschenbecher auf dem Schreibtisch des Priors irritiert ein wenig.

Contemplari et contemplata aliis tradere. Das ist der Auftrag des Ordens“, erklärt Prcela. Der lateinische Satz geht zurück auf den mittelalterlichen Dominikanermönch Thomas von Aquin und wird oft übersetzt mit: Die Früchte der Kontemplation an andere weitergeben. „Lesen ist meine Nahrung. Lesen ist Nachdenken und Meditation. Das, was ich dabei erfahre, das gebe ich weiter“, sagt Prcela. Das sei der Kern der dominikanischen Spiritualität. Die fünf Brüder im Dominikanerkloster beginnen ihre Tage um 7.45 Uhr mit einem gemeinsamen Gebet. Der Gebetsraum befindet sich in einem Anbau im Hinterhof, der 2015 für Angehörige von Patienten des Uniklinikums errichtet wurde. Bodentiefe Fenster mit Kreuzmotiven, dunkles Parkett, Höcker stehen entlang der Wände. In der Mitte des Raumes brennt eine Altarkerze. Diethard Zils (88) schiebt eine Gehhilfe vor sich her, als er die Kapelle mit schnellen Schritten betritt. Auch seine Pflegerin nimmt am Gebet teil. Ralf Sagner (61) leitet an diesem Morgen das Gebet. „Am Morgen denke ich an Dich, Herr, Deine Huld ist besser als das Leben“, singen die Mönche aus einem Psalm ihres Stundenbuches. Sie lobpreisen Gott und bitten um Kraft und Hilfe.

„Wir kommen zum Beten zusammen, zum gemeinsamen Mahl und – je nachdem, was ansteht – zu Besprechungen, um Aufgaben zu verteilen“, erläutert Johannes Bunnenberg (65) beim Frühstück im Haupthaus. Es gibt Kaffee und Gebäck. Im Hintergrund klappert und klirrt es aus der Küche, wo eine Angestellte den Haushalt besorgt. Bunnenberg, Sagner und Prcela arbeiten in unterschiedlichen Funktionen beim Bistum Mainz. José Pérez Lucio (34) studiert Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität. „Neben der Erwerbstätigkeit, besteht unsere Hauptaufgabe in der kirchlichen Seelsorge an der Pfarrei St. Bonifaz. Das ist unser gemeinsames Projekt, das wir als Gemeinschaft gestalten“, erklärt Sagner. Die Kirche befindet sich nur einen Block entfernt vom Kloster. „Seelsorge und Verkündigung“, fügt Bunnenberg hinzu, „das sind im weitesten Sinne unsere Hauptaufgaben.“ Als Pfarrer der Gemeinde St. Bonifaz sieht er seine Aufgabe nicht nur auf die Predigt beschränkt. Seelsorge und Verkündigung könnten die verschiedensten Formen annehmen und fänden im Grunde immer statt, wenn die Brüder als Ordensleute auftreten. Sei es beim Sonntagsmahl für bedürftige Menschen oder bei einem beiläufigen Gespräch. Auch Bruder Prcela verkündige die Früchte seiner Kontemplation, wenn er als Autor und Redakteur für die dominikanische Zeitschrift Wort und Antwort tätig ist.

Auch Pérez Lucio nimmt explizit Bezug auf den Leitgedanken Thomas von Aquins. „Es gibt viele Wege, mit Gott in Beziehung zu treten. Für Ordensgründer Dominikus – und deshalb für uns Dominikaner – ist das Studium eine Möglichkeit, eine Beziehung zu Gott aufzubauen“, sagt Pérez Lucio. Es sei wichtig, dass das Studium erblühe und Früchte bringe, sowohl in der Gemeinde als auch in der Gesellschaft. „Wahrscheinlich werden wir nicht genau sehen, wie oder was es bringt. Aber in einem Psalm heißt es: Wir wissen nicht genau, wie die Blumen blühen. Der Herr macht, dass sie blühen“, ist sich Pérez Lucio sicher.

Das Studium spielt traditionell eine wichtige Rolle im Dominikanerorden und durchzieht das gesamte Leben der Mönche. Sie haben alle ein Theologiestudium absolviert und versuchen, sich lebenslang intellektuell weiterzubilden, auch über die Theologie hinaus. „Es ist wichtig wahrzunehmen, was ist, und es in Verbindung mit der Theologie zu bringen“, sagt Bunnenberg im Hinblick auf die gesellschaftliche Situation. Geht es also auch darum sich einzumischen?

„Wenn’s notwendig ist, schon“, sagt Sagner zögerlich. Studium und Verkündigung seien nicht bloß etwas Theoretisches. „Das, was wir machen – studieren, meditieren – ist ein Dienst am Menschen“, sagt Prcela schließlich. „Dass wir uns einmischen, ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht und unsere Aufgabe.“

Text erschienen in Allgemeine Zeitung, 05.07.23 im Rahmen der Artikel-Serie „So wohnt Mainz“ | Autor: Mayank Sharma. Danke für die freundliche Erlaubnis zur Verwendung auf unserer Webseite!
Fotos (unabhängig vom Artikel): P. Adam Rokosz