Ein Augenblick in schwarz & weiß: Der Liebesnarr

Georg-Dominik Menke OP

Der kleine König ist ein großer Liebesnarr

Eine neue Christusstatue für die JVA Butzbach

Der zur Mainzer Kommunität gehörende Dominikaner P. Georg-Dominik Menke berichtet über einen ungewöhnlichen Neuzugang im Butzbacher Gefängnis, wo er als Seelsorger arbeitet: Eine Christusskulptur, die zur Besinnung und Betrachtung einlädt.

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Butzbach hat einen besonderen Zugang zu verzeichnen: Er ist freiwillig gekommen – sozusagen ein Selbststeller – und bleibt länger. Uns lächelt eine Skulptur an, eine grobe Holzplastik aus altem Eichenholz, aus einem Stück geschlagen, Hemd und Hose angemalt – und hat eine goldene Krone in der Hand: Ein kleiner König ist im Butzbacher Gefängnis eingezogen.

Der Tischler und Diakon Ralf Knoblauch, Seelsorger in Bonn, hat ihn erschaffen. Er hat schon ganz viele solcher Königinnen und Könige geschaffen. Sie kamen zur Caritas, in Krankenhäuser, in Kirchen und Seniorenheime, in Arztpraxen und Ausstellungen … Sie stehen in Abu Dhabi, Chicago, Bonn und Wattenscheid, verbrannt im Flüchtlingslager Moria, in Hongkong und Jerusalem, in Spanien und in der Türkei, auf dem Flüchtlingsschiff Alan Kurdi, in Indien und Indonesien, in Wuppertal und in Oman… und nun auch im Butzbacher Gefängnis, zwischen Wetzlar und Bad Nauheim.

Du bist ein Königskind, ein Geschenk Gottes

„Die Würde kann dir keiner nehmen! Du bist ein Königskind, ein Geschenk Gottes!“ Das ist die Botschaft, die der Künstler mit seinen Holz-Skulpturen, den Königen, die machtlos und bescheiden zugleich sind, seit Jahren transportiert. Das ist die Botschaft an alle Betrachtenden. Und das an so vielen unterschiedlichen Orte dieser Erde.

Könige gibt es viele im christlichen Glauben. Die drei Weisen, die den beschwerlichen Weg nach Bethlehem gemacht haben, sind zu Königen geworden. Vor allem im Alten Testament wird von Königinnen und Königen erzählt, mancher eingesetzt entgegen Gottes Bedenken hinsichtlich charakterlicher Eignung. Der eigentliche König ist Jesus der Christus selbst. Sein Königtum erahnen wir, wenn wir auf das Kreuz schauen. Von seiner Art des Königseins hören wir besonders in der Leidensgeschichte und am Christkönigsfest, dem letzten Sonntag im Kirchenjahr. In der Kirche ist das Wort vom König eingegangen in die Taufe. Mit dem heiligen Chrisam wird der Täufling auf der Stirn zum Priester, König und Propheten gesalbt.

Der kleine Mann, der die goldene Krone eben nicht auf dem Kopf hat, sondern in der Hand, läuft nicht Gefahr, Macht und Herrschaft oder gar Unterdrückung auszustrahlen. Er ist auch nicht eingebildet. Ganz im Gegenteil. Er will uns erinnern und trösten und stärken. Er will uns anschauen in Tränen, Leid und Angst, in furchtsamen Gesprächen über die Zukunft oder die drohende Abschiebung; er ist ein Mutmacher. Er will uns treffen, wenn wir meinen, dass uns die Würde abhandengekommen ist oder sie uns genommen wird. Fast spielerisch und fröhlich wendet er sich uns zu. Er spricht – ganz leise: Jeder Mensch ist ein Königskind! Jeder ist ein kleiner König.

Seine Liebe ist unverlierbar; egal, was wir tun

Warum? Gott liebt seine Geschöpfe. Seine Liebe ist unverlierbar; egal, was wir tun. Er ist ein „Liebesnarr“. Er ist sogar auf die Idee gekommen, selbst Mensch zu werden – und hat das tatsächlich auch getan. Dieser Gott hat die Menschen als seine Ebenbilder erschaffen. Der Ausdruck „Ebenbild Gottes“ ist die Sprache der Bibel, um das auszudrücken, was wir heute als Menschenwürde bezeichnen. Menschenwürde wiederum kann und muss sich keiner von uns verdienen oder erarbeiten. Der kleine König hat also eine große Botschaft.

Ich bin gespannt, welche Wege unser kleiner König gehen wird – zu Gefangenen, Bediensteten, Sozialarbeitern, Anstaltsleitenden, in die Zentrale und ins Lazarett, zum Besuch und am besten auch in die B-Zelle, den „besonders gesicherten Haftraum“, blank bis auf die Matratze.

Ein besonderer Zugang in der JVA Butzbach, freiwillig gekommen, bleibt länger: Eine grobe Holzplastik aus altem Eichenholz, aus einem Stück geschlagen, Hemd und Hose angemalt, lächelt uns an – und hat eine goldene Krone in der Hand. Ich habe den Wunsch, dass es vielen gelingt, die goldene Krone wieder auf den Kopf zu setzen.

P. Georg-Dominik Menke ist Pfarrer und Gefängnisseelsorger in der JVA Butzbach.

 

O Liebesnarr,

brauchst Du denn Dein Geschöpf?

Es scheint mir so;

denn Du benimmst Dich, als ob Du ohne es nicht leben könntest.

Dabei bist Du doch das Leben, so dass jedes Ding von Dir das Leben hat und ohne Dich nichts lebt.

Warum bloß bist Du so vernarrt?

Weil Du Dich in Dein Geschöpf verliebt hast,

fandest Du an ihm in Dir selbst Gefallen und Ergötzen

und bist wie berauscht von der Sorge um sein Heil.

Es entflieht Dir und Du machst Dich auf die Suche nach ihm,

es entfernt sich von Dir und Du näherst Dich ihm.

Noch näher konntest Du ihm nicht kommen, als Dich mit seinem Menschsein zu bekleiden.

Katharina von Siena, Dominikanerin (1347-1380)