Liebe Mitglieder unserer Gemeinde, liebe Besucherinnen und Besucher unserer Kirche,
den November verbinden wir mit Grau und Nässe, mit Wind und Regen, mit entlaubten Ästen und trübem Himmel. Wir machen die Heizung an und zünden Lichter an, weil es draußen kalt und dunkel wird. Überall begegnen uns Spuren von Vergehen, Sterben und Tod.
Doch es gibt auch eine andere Seite des November: weg vom Lauten hin zum Leisen, weg vom Grellen hin zum Getragenen, weg vom Schnellen hin zum Ruhigen, weg von verführerischen Reizen hin zum gediegenen Kern.
Ich erlebe diese Tage als stiller, als langsamer, als wesentlicher. Ich rühre an Seiten, die sonst übertönt werden – die aber real und bedeutsam sind. Es ist die Jahreszeit der nachdenklichen Fragen: Was vergeht? Was bleibt? Was hat Bestand? Gibt es eine Ernte in meinem Leben? Was wird aus mir, wenn ich krank und alt werde? Was ist, wenn ich sterbe?
Bei genauem Hinsehen nehme ich indessen nicht nur ernste, vielleicht auch beunruhigende Fragen wahr, sondern ich entdecke auch Hinweise auf mögliche Antworten. Wir beobachten momentan allerorten, wie die Blätter von den Bäumen fallen und am Boden vermodern, Zeichen der Vergänglichkeit. Aber dadurch werden die Bäume zugleich durchlässiger. Sie werden lichter, ich kann durch sie hindurch zum Himmel emporschauen. Karl Krolow spricht von „den Monaten der Vertikale“ und erläutert: „Die Senkrechte gehört jetzt zum Schriftbild der Landschaft“. Der freier gewordene Blick auf den Himmel, die größere Transparenz – ich empfinde es als eine sprechende Symbolik.
Ein anderer Schriftsteller nennt den Herbst „Flugzeit“, wahrscheinlich im Anklang an die Zugvögel, die zu südlichen Gefilden aufbrechen und unsere Sehnsucht nach Ferne wecken: „Zeit wär’s zu fliegen“ (Rainer Brambach). Fliegen ist verbunden mit Leichtigkeit und weiten Ausblick auf den Horizont.
Naturwissenschaftler, die für philosophische Überlegungen offen sind, weisen bisweilen darauf hin: In der Natur geht nichts völlig verloren. Im materiellen Bereich gibt es keine Auflösung ins Nichts, wohl aber die Überführung in einen anderen Zustand. Nicht Vernichtung, sondern Verwandlung ist das Gesetz, das wir in der Natur vorfinden. Ist es dann nicht berechtigt, eben dies auch für die kostbarsten Güter unseres Menschseins zu erhoffen?
Gerade in dieser Jahreszeit lenkt die Kirche den Blick auf die Heiligen. Sie sind dem Tod nicht entkommen, nicht wenige von ihnen fanden sogar ein schlimmes Ende, doch sie bezeugen das Leben, das stärker ist als Zerstörung, Gewalt und Vernichtung – unüberwindlich, unauslöschlich, unerschöpflich. Sie stärken uns im Glauben an einen Gott, dessen Lebendigkeit kein Ende und keine Grenzen kennt. Bei ihm sind wir auch mit unserem Schmerz und unserer Trauer aufgehoben.
P. Johannes Bunnenberg OP